Jedem das Seine

Silke Hassler und Peter Turrini
Musik von Sandy Lopičić

Inhalt

Eine Gruppe ungarisch-jüdischer Häftlinge, unterwegs zu einem Konzentrationslager, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, eingesperrt in der Scheune auf einem österreichischen Bauernhof. Ein Operettentenor, ein Schneider, ein Geschichtsprofessor mit seiner Gattin, eine junge Frau und andere haben einen langen Elendsmarsch hinter sich. Im Heu der Scheune ruhen sie sich für einen Moment aus, der Operettentenor stimmt ein Lied an: „Wiener Blut“. Und bald wird aus dem Divertimento ein ehrgeiziges Projekt, überraschenderweise tatkräftig unterstützt von der Bauersfrau und deren Magd, die den Häftlingen Essen, Instrumente, Kostüme und Mitspieler verschaffen. Selbst der Bauer, der zwar ein strammer Nazi ist, aber passabel Akkordeon spielt, und ein Hitlerjunge werden rekrutiert, um das Projekt umzusetzen: Die Inszenierung der Operette „Wiener Blut“, aufgeführt auf dem Weg ins Konzentrationslager.

„Suum cuique“ – „Jedem das Seine“: Der vom römischen Kaiser Justinian aufgesetzte römische Rechtsgrundsatz war folgendermaßen gemeint: „Ehrbar leben, andere nicht verletzen, jedem das Seine zubilligen.“ Die Botschaft „Jedem das Seine“, die die Nazis in monumentalen Buchstaben an der Außenseite des Lagerortes Buchenwald für dessen Häftlinge anbringen ließen, bedeutete das Gegenteil: „Hier bekommt ihr, was ihr verdient.“ – Elend und Tod. Im Frühjahr 1945 wurden etwa 100.000 ungarische Juden durch Österreich Richtung Mauthausen getrieben. Nur 20.000 überlebten. Ums Leben kamen auch jene, die von ein paar betrunkenen Nazioffizieren, die auf einem Schloss im Burgenland ein „Untergangsfest“ feierten, in einer Scheune verbrannt wurden. Doch auch die österreichische Bauersfrau hat es wirklich gegeben. Sie wurde 1968 in Israel in den Hain der Gerechten aufgenommen. In einem Interview, das sie kurz vor ihrem Tod gab, antwortete sie auf die Frage, warum sie den jüdischen Häftlingen geholfen habe: „Was hätte man denn tun sollen? Was hätte man als Mensch denn anders machen sollen?“

„Jedem das Seine“ erzählt von der vereinigenden Kraft des Theaters in den finstersten Momenten der Geschichte und wie die Musik für einen Moment die Realität aufheben kann – eine Thematik, mit der sich Sandy Lopičić immer wieder auseinandersetzt.

REGIE UND MUSIK Sandy Lopičić
BÜHNE UND KOSTÜME Vibeke Andersen
LICHT Viktor Fellegi
DRAMATURGIE Karla Mäder

LUDWIG "LOU" GANDOLF, OPERETTENSÄNGER Andri Schenardi
ELIAS ROTENBERG, SCHNEIDER Rudi Widerhofer
ZSUSZA BREUER, KONTORISTIN Anna Szandtner
JAKOB KÖNIG, KLAVIERPROFESSOR Helmut Stippich
HANNAH KÖNIG, SEINE FRAU Evamaria Salcher
EDVIN JAVOR Miloš Milojević
RAPHAEL GLASBERG, BASSIST Sašenko Prolić
MILLI MOSKOVIC, ROMAFRAU deeLinde
IMRE LANDAU, MECHANIKER Raphael Meinhart
TRAUDL FASCHING, BÄUERIN Margarethe Tiesel
STEFAN FASCHING, BAUER Franz Solar
LEOPOLDINE "POLDI" SCHRABACHER, MAGD Susanne Konstanze Weber
ANTON HOCHGATTERER, DORFGENDARM Clemens Maria Riegler
EDI KROPFITSCH, HITLERJUNGE Jojo-Maximilian Gansch

Pressestimmen

„Zutiefst emotional, ergreifend und auch entlarvend: ‚Jedem das Seine‘ von Silke Hassler und Peter Turrini im Grazer Schauspielhaus verleiht der Toleranz die passenden Töne. Ein Zeitstück, ein wichtiges Stück zur Zeit. Stehende Ovationen, ein Lied als Zugabe, und ein sichtlich berührtes, aber auch restlos begeistertes Publikum. […] ihm [Sandy Lopicic] gelingt eine Mischung aus einem gespenstischen Totentanz und einem Galgenlied für die Mörder, dessen Nachhall bis in die Gegenwart reicht. Und er beweist auch, wie viel Sprachmusik sich in diesem Stücktext befindet. […] Das Grazer Schauspielhaus ist um ein weiteres Glanzstück reicher.“ (Werner Krause, Kleine Zeitung Nachtkritik, 3. März 2018)

„Eine ebenso brillante wie berührende Neuvermessung der Grenzen zwischen Galgenhumor und Grauen. Ein Wunschgedanke stellt sich bei dieser knapp zweistündigen, enorm eindringlichen Aufführung immer wieder ein. […] Und warum ersetzen sie all das ewig gestrige Geplärr nicht durch einige jener zutiefst bewegenden Lieder, die der Regisseur Sandy Lopicic behutsam und assoziativ in diesen herausragenden Theaterabend einfügte? […] Silke Hassler und Peter Turrini gelingt mit ihrem viel zu selten gespielten Lehrstück […] eine berührende Neuvermessung der Grenzen zwischen dem Galgenhumor und dem Grauen. Sandy Lopicic zeigt mit einem hoch motivierten Ensemble weitere Abgründe auf. […] Großartig ist es, wie Andri Schenardi als Operettenfanatiker versucht, all seine Gebrochenheit zu überspielen, tiefschwarz ist der Humor von Rudi Widerhofer als Schneidermeister. Und spätestens, wenn deeLinde als Roma-Frau jüdische Traditionals erklingen lässt, verwandelt sich das Grazer Schauspielhaus symbolisch in einen Ort der Gemeinsamkeit, des Miteinanders, des Verstehens von eigentlich Unfassbarem. So kann, so soll, so muss emotionales Theater sein. […] Stehende Ovationen waren der gebührende Dank.“ (Werner Krause, Kleine Zeitung, 4. März 2018)

„Standing Ovations sind auch im Schauspielhaus rar: Mit ‚Jedem das Seine‘ haben sich die hervorragenden Darsteller, Regisseur Sandy Lopičić und die beiden Autoren Silke Hassler und Peter Turrini diesen Jubel aber mehr als redlich verdient. Ein tief berührender Abend, wo Tragik und Lachen ganz nah beieinanderliegen. […] Feinfühlige Regie, hervorragende Darsteller. Regisseur Sandy Lopičić vertieft die Tragödie, indem er zusätzlich zu den seligen Operettenmelodien schwermütige alte jüdische, steirische und ungarische Volkslieder einstreut. Mit viel Feingefühl nähert er sich diesem Stoff, gibt den Opfern Gesicht und noch mehr Stimme und setzt auf das Lachen und die Musik, um die Erinnerungen nicht zu schmerzhaft präsent zu halten. Dabei unterstützen ihn nicht nur die kluge Ausstattung von Vibeke Andersen, sondern auch ein umwerfendes Ensemble. Allen voran Andri Schenardi, der dem Lou Gandolf einen so verzweifelten Lebenswillen verleiht, dass es weh tut. Ihm zur Seite Margarethe Tiesel als willensstarke Bäurin, Franz Solar als sich nur langsam öffnender Bauer, Susanne Konstanze Weber als naive Magd. Rudi Widerhofer, Evamaria Salcher und Anna Szandtner sowie die ganz hervorragenden Schauspieler-Musiker Helmut Stippich, Miloš Milojević, Sašenko Prolić, Raphael Meinhart und deeLinde überzeugen in jeder Sekunde als Häftlinge am Ende ihrer Kräfte. Clemens Maria Riegler als zahlenversessener Dorfgendarm und Jojo-Maximilian Gansch als Hitlerjunge vervollkommnen diese Top-Leistung. Ein kluger, ein guter, ein wichtiger Abend! Nicht versäumen!“ (Michaela Reichart, Kronen Zeitung, 4. März 2018)

„Turrinis Meisterwerk […] Lopicics nächstes gelungenes Stück […] Das Stück feierte eine gelungene Premiere im Schauspielhaus. Minutenlanger Jubel und Standing Ovations rundeten am Freitagabend den neuesten genialen Streich der österreichischen Schriftsteller Peter Turrini und Silke Hassler unter der (musikalischen) Leitung des Grazer Künstlers Sandy Lopicic ab. Spätestens die emotionale Zugabe ‚Trag mi, Wind‘ rührte Ensemble und Publikum zu Tränen.“ (Österreich, 4. März 2018)

„Ein außergewöhnlich dichter Abend begeisterte am Freitag im Grazer Schauspielhaus das Publikum. […] erdig und stark: Margarethe Tiesel […] differenziert und genau: Franz Solar […]. Das Thema der Todesmärsche war Silke Hassler ein Anliegen, und durch die sorgfältige Sprache Peter Turrinis entsteht etwas, das allgemeingültig ist und trotzdem schmerzhaft genau trifft. Sandy Lopicic verbindet den Text gekonnt mit Musik, die unglaublich stimmungsvoll ist, volksliedhafte Weisen, jüdische Klänge oder auch Schubert und Smetana. Er zeichnet auch für die Regie verantwortlich, die immer wieder einzelnen Darstellern Möglichkeiten zu feinen, kleinen Menschenporträts gibt. So zeigt Andri Schenardi als Sänger facettenreich einen nur fast Gebrochenen, der aber immer noch an ein Leben nach dem Krieg glaubt und von seiner Rückkehr ans Budapester Operettenhaus träumt. Liebevoll die Zeichnung des jüdischen Schneiders durch Rudi Widerhofer, voller Herbheit und Stolz Evamaria Salcher, berührend in einer einzigen Szene der Musiker Sasenko Prolic. Susanne Konstanze Weber spielt die Magd Poldi als junge Frau voller Schlichtheit, aber nicht ohne Witz. […] Ein treffender Abschluss einer punktgenauen Aufführung.“ (Karin Zehetleitner, APA, 3. März 2018)

„Es ist ein Verdienst von Regisseur Sandy Lopicic, dass er dem Schwankhaften Grenzen setzt und insbesondere durch den Einbau jüdischer Volkslieder eine […] Atmosphäre der Melancholie schafft. Immer wieder wird die Walzerseligkeit durch andere Musikformen gebrochen, in den besten Momenten der Aufführung wird ein zwischen Komik und Grauen pendelnder Requiemcharakter spürbar. […] Das Ensemble des Grazer Schauspielhauses leistet Beachtliches, insbesondere Andri Schenardi, dem die Rolle des Lou Gandolf auf den Leib geschrieben scheint – mitreißend in der Euphorie und tiefschwarz in der Verzweiflung. Margarethe Tiesel ist eine markante, selbstbewusste Traudl Fasching mit starkem Rückgrat.“ (Martin Behr, Salzburger Nachrichten, 5. März 2018)

„Am Hof der Familie Fasching werden Musikinstrumente herbeigeschafft, und die Bäuerin (Margarethe Tiesel) bringt im Austausch gegen ihren musikalischen Hunger heiße Suppe für die ausgemergelten Flüchtlinge (Rudi Widerhofer, Anna Szandtner, Evamaria Salcher, Helmut Stippich, Milos Milojevic, Sasenko Prolic, Raphael Meinhart und deeLinde). Und die Magd (Susanne K. Weber) checkt – eine der schönen Pointen des Stücks – die Kostüme der Passionsfestspiele. Diese Verquickung von Schrecken und Heiterkeit entfaltet in Sandy Lopicics Inszenierung jene Kraft, die auf Erschütterung abzielt, ohne sich aber am blanken Leid zu weiden. […] Die naturalistische Pracht des Stadels, dessen Holzwände ins Parkett reichen, wird immer dann gebrochen, wenn sich dessen Hinterwand in den Schnürboden hinaufhebt und den Blick auf (Alb-)Traumsequenzen freigibt.“ (Margarete Affenzeller, Der Standard, 5. März 2018)

„Berührend und beklemmend. […] Kraftvoll und emotional wird die Geschichte der jüdischen Häftlinge erzählt. […] Beklemmung und Witz fließen hier zusammen – ähnlich wie in Roberto Benignis ‚Das Leben ist schön‘ – und machen die Geschichte so verträglich und zugleich berührend, wie eine reine Tragödie es nie vermocht hätte. So wird hier kitschfrei erzählt, wie Häftlinge und Bauernfamilie das Gemeinsame erkennen und in Theaterspiel und Musik das ‚Licht am Ende der Finsternis“ erahnen. […] Ruhig, fast statisch inszenierte Passagen wechseln sich mit wilden ab, stimmungsvolle, oft melancholische Musik unterstreicht die Handlung.“ (Katrin Nussmayr, Die Presse, 6. März 2018)

ORT & DAUER
HAUS EINS
Hofgasse 11, A - 8010 Graz
Dauer: ca. 1 Stunde 55 Minuten, keine Pause
PREMIERE
02. März 2018, HAUS EINS
WIR EMPFEHLEN IHNEN
HAUS EINS

Ein Klassiker der Theaterliteratur: Die stolze Königin der Schotten im verbalen Kampf mit ihrer Cousine Elisabeth. Es inszeniert Stephan Rottkamp, der schon mit u. a. „Der Sturm“ ein Händchen für Klassiker bewiesen hat.

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