/* * Template Name: Produktion Details */ ?>
nach dem Roman von Mary Shelley
Deutsch von Irina Philippi
Mary Shelley, Autorin des „Frankenstein“, war mehr als ein One-Hit-Wonder, das im Alter von 18 Jahren das Monster erfand, das ins kulturelle Gedächtnis eingewandert ist. Mary Shelley war eine hochintelligente, höchst modern denkende und unkonventionell lebende Frau. Ihre Lebensgeschichte und ihr Werk – sie gilt als Erfinderin der Science Fiction – lassen das frühe 19. Jahrhundert in ganz anderem Licht erscheinen, als es z.B. die Romane ihrer Zeitgenossinnen wie die Brontë-Schwestern oder George Eliot suggerieren. Und ihr zwischen 1824 und 1826 geschriebener und nach 200 Jahren im Februar 2021 erstmals auf Deutsch erschienener Roman „Der letzte Mensch“ ist ein vernachlässigtes Dokument der Weltliteratur. Hier diskutieren Frauen beim Frühstück mit ihren Männern und Freunden über die politischen Ereignisse der Zeit, sind interessiert an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und bestehen darauf, zu lieben, wen und wie sie wollen und zu denken und zu schreiben, was sie wollen.
Das Leben der Autorin war so aufregend (und dramatisch, ja tragisch) wie ihre literarischen Helden: Aufgewachsen in einer Patchworkfamilie, war sie die Tochter einer radikalen Feministin und eines Anarchisten. Mit 16 türmte sie von zu Hause mit dem romantischen Dichter Percy Shelley (Atheist, Vegetarier und Anhänger der freien Liebe), der trotz viel emotionalen Unglücks ihre große Liebe blieb. Die Reisen des prominenten Paares durch ganz Europa, ihr bohèmeartiges Leben mit wenig Geld und vielen Affären wurden von der Klatschpresse der Zeit interessiert verfolgt – es gab zur Berichterstattung Anlass.
Als Dichterin der Romantik hatte die auch als „queen of goth“ apostrophierte Autorin ein inniges Verhältnis zum Tod. Und dies nicht nur theoretisch oder ästhetisch. Auf der Hälfte ihres Lebens, mit 26 Jahren, stand sie mutterseelenallein, bettelarm und verlassen von allen in Italien. Ihre Mutter war bereits bei ihrer Geburt gestorben, ihr Ehemann im Meer ertrunken, ihre Kinder (bis auf eines) im Kleinkindalter gestorben, ihr bester Freund im Krieg geblieben, ihre Halbschwester durch Suizid aus dem Leben geschieden usw. usf. Was liegt da näher, als einen Roman zu schreiben, der die bodenlose, eigene Einsamkeit thematisiert? Als grausame, aber nicht unempathische Schöpfergöttin löscht Mary Shelley auf 544 Seiten die gesamte Menschheit aus und porträtiert sich selbst in der Rolle des einzigen Überlebenden einer weltumspannenden Seuche, die in der Zukunft stattfindet.
Der Roman mit seinem pandemischen Geschehen spielt in den Jahren 2073 bis 2089. In der Inszenierung sind „Der letzte Mensch“ und das Schicksal von Mary Shelley selber Ausgangspunkt für eine Reflexion über Einsamkeit und Düsternis, Tod und Freiheit, die Mehrwertproduktion und die Unterhaltungsindustrie Stadttheater. Der Theaterabend nimmt seinen Ausgangspunkt aus dem Gedanken, dass die Bühne des Schauspielhaus Graz ein einziges Massengrab ist, aus dem die Untoten allabendlich wiederauferstehen, um sich das Denken einer radikalen Freiheit zu erobern. Er endet an der Grenze unseres Sonnensystems auf der Suche nach einer neuen Heimat, nachdem der Mensch im Anthropozän die Erde hat unbewohnbar werden lassen. All dies in der trotz des düsteren Themas humorvollen, spielfreudigen, diskursmächtigen und bildgewaltigen Inszenierung von Alexander Eisenach, der in Graz auf die Adaption von wortgewaltigen Romanen („Frequenzen“ von Clemens J. Setz, „Der Zauberberg“ von Thomas Mann, „Vernon Subutex“ von Virginie Despentes) spezialisiert ist und der wieder einmal inszenatorisch alle Register zieht, die das Theater so bietet.
REGIE Alexander Eisenach
BÜHNE Daniel Wollenzin
VIDEO Oliver Rossol
KOSTÜME Claudia Irro
MUSIK Benedikt Brachtel
LICHT Thomas Trummer
DRAMATURGIE Karla Mäder
MIT Lisa Birke Balzer, Henriette Blumenau, Fredrik Jan Hofmann, Florian Köhler, Mathias Lodd, Alexej Lochmann, Raphael Muff, Clemens Maria Riegler
LIVE-KAMERA Timo Neubauer
SCHAUSPIELHAUS AKTIV
Theaterpädagogik Timo Staaks
Altersempfehlung: ab 16
„So geht Anfangen. Mit "Der letzte Mensch" nach dem Roman von Mary Shelley schnüren Regisseur Alexander Eisenach und ein spektakulär aufspielendes Ensemble am Grazer Schauspielhaus zum Saisonauftakt die ganz große Packung Spielwitz auf. Die Bearbeitung des Romans […] setzt das richtige Statement in die hoffentlich postpandemische Landschaft: jetzt aber wieder Kultur und mit Karacho! […] Man sieht eine Zombieapokalypse. Frankensteins Monster beim Consultergefasel über Abschreibemodelle. Einen sprechenden Schleimpilz. Einen Besichtigungsrundgang auf dem Neptun. Das alles ist mit enormem Schwung inszeniert, mit Live-Video, Stimmungsmusik, Nebel und Kerzenschein. Eisenach macht enorme Assoziationsräume auf, in denen sich die apokalyptischen Entwicklungen unserer Tage spiegeln, fügt Gothic an Weltraumoper, Melodram an Schmierenkomödie; […] wer sich diesem dramatischen Funkenschlag ausliefert, erlebt ein fantastisch aufgeigendes Ensemble, allen voran eine entfesselte Henriette Blumenau als Mary Shelley, der Kaliber wie Florian Köhler, Mathias Lodd, Fredrik Jan Hofmann kongenial Zuspielen.“ (Kleine Zeitung, Ute Baumhackl, 18.09.2021)
„Der auf Romanadaptionen spezialisierte deutsche Regisseur [Alexander Eisenach] […] baut aus Shelleys Roman eine rasante Achterbahnfahrt durch Literatur- und Wissenschaftsgeschichte, Schauerromantik und Science Fiction. Das dauert gut zweieinhalb Stunden und ist fantastisch unterhaltsam. […] Das alles ist mit enormem Schwung und unter Aufbietung des ganz großen Theaterzirkus inszeniert, mit Live-Video, Stimmungsmusik, Nebel, Funkenschlag und Kerzenschein. […] ein fantastischer Bilderreigen, in dem sich ein bestens aufgelegtes Ensemble nach Herzenslust austoben konnte. […] Genau das hat es jetzt gebraucht.“ (kleinezeitung.at, Nachtkritik, Ute Baumhackl, 17.09.2021)
„Originelle Flucht vor der Seuche ins All. […] Die Darstellerinnen und Darsteller versuchen unermüdlich und erfolgreich, den betrachtenden Texten Leben einzuhauchen. Ein schönes Trio sind dabei Henriette Blumenau, Mathias Lodd und Florian Köhler als Mary und Percy Shelley und Lord Byron. Lisa Birke Balzer, Fredrik Jan Hofmann, Alexej Lochmann, Raphael Muff und Clemens Maria Riegler agieren in unterschiedlichen Rollen und sind trotz aller Gleichförmigkeit als Individuen erkennbar.“ (APA, Karin Zehetleitner, 17.09.2021)
„Regisseur Alexander Eisenach bringt sie [Anm.: die Themen des Stückes] in seiner krachenden Version auf die Bühne des Grazer Schauspielhauses. Und selten war eine Dystopie so unterhaltsam, so prall an Leben wie diese Tour de Force. […] Regisseur Alexander Eisenach, versierter Umwandler von Romanen für die Bühne ("Frequenzen", "Zauberberg", "Vernon Subutex"), kann also aus dem Vollen schöpfen. Und das tut er, fügt diesem prallen Konvolut noch einiges hinzu und erschafft so ein schauerliches Science-Fiction-Spektakel, in dem es blitzt und kracht und in dem mit Verve gestorben wird. Er nutzt genussvoll jede Möglichkeit, den vollen Zauber des Theaters vorzuführen und ihn in der Bühne von Daniel Wollenzin, mit Oliver Rossols Video und Claudia Irros Kostümen auf die heutige Vielfalt der Erzählmöglichkeiten abzuklopfen. Was für ein Vergnügen! Für die Schauspieler ist dieser Abend ein gefundenes Fressen. Hier können sie alles geben und tun das auch mit Leidenschaft. Allen voran die umwerfende Henriette Blumenau als Mary Shelley. Ihr zur Seite Mathias Lodd als Percy Bysshe Shelley und Florian Köhler als Lord Byron. Aber auch Alexej Lochmann, Clemens Maria Riegler, Fredrik Jan Hofmann, Lisa Birke Balzer und Raphael Muff gefallen in dieser fast dreistündigen Theater-Tour de Force. Ein pandemischer Befreiungsschlag, der ziemlich viel Spaß macht!“ (Kronen Zeitung/krone.at, Michaela Reichart, 18.09.2021)
„Ein apokalyptisch, surrealistisches Durcheinander der Sonderklasse. […] Mary Shelley (grandios hysterisch: Henriette Blumenau), Lord Byron (ein dramatisch lamentierender Florian Köhler) und Percy Shelley (Mathias Lodd) stolpern durch eine Apokalypse, die sich wahrlich sehen lassen kann. […] Doch ungezügeltes Chaos ist nicht das einzige Ziel des Abends: Hinter der dystopischen Inszenierung steckt auch jede Menge Kritik. […] Noch selten hat wohl ein Stück eine Bühne so schön in ein Massengrab verwandelt.“ (meinbezirk.at, Ludmilla Reisinger, 17.09.2021)
„Mit Ernsthaftigkeit und Witz zugleich werden nicht nur Mary Shelleys Leben, sondern auch Themen wie die Liebe, der Tod, Verlust, das Aussterben der Menschheit sowie die Reise in andere Dimensionen thematisiert. […] Durch eine geschickte Inszenierung mit Video und ‚realen‘ Szenen werden nicht nur verschiedene kulturelle, literarische Werke in diesem Stück vermischt, sondern es wird auch mehrmals die Wand zwischen Theaterstück und Publikum – zwischen Fiktion und Realität – aufgebrochen. […] Ein kulturelles Meisterwerk, welches man sich nicht entgehen lassen sollte!“ (kultrefgraz.wordpress.com, Carina Pammer, 20.09.2021)