dritte republik (eine ver­mes­sung)

Ös­ter­rei­chi­sche Erst­auf­füh­rung

teil drei der kron­land­sa­ga

Thomas Köck

Anita Vulesicas In­sze­nie­rung von „dritte republik (eine ver­mes­sung)“, die am 11. September 2020 in HAUS EINS Premiere feierte, gewann am Abend des 21. November im Theater an der Wien den Nes­troy-Thea­ter­preis 2021 in der Kategorie „Beste Bun­des­län­der-Auf­füh­rung“.

Inhalt

Eine Land­ver­mes­se­rin steigt in Wien in einen „Postzug“ und an der End­sta­ti­on, nach einer stra­pa­ziö­sen Fahrt durch kriegs­ver­sehr­te, ent­völ­ker­te Land­schaf­ten, wieder aus. Ihr Auftrag: die Grenze neu vermessen.

Ori­en­tie­rungs­los irrt sie mit einem riesigen Über­see­kof­fer voller Prä­zi­si­ons­mess­in­stru­men­te durch einen Schnee­sturm. Bei einem einsamen Haus am Waldrand klopft sie an, ihr öffnet ein Kutscher ohne Kutsche, der sich ihr als Weg­ge­fähr­te aufdrängt. Zusammen begegnen sie skurrilen, ratlosen, ver­lo­re­nen Gestalten, doch die Suche nach der zu mar­kie­ren­den Grenze bleibt ver­geb­lich …

Thomas Köck ist einer der her­aus­for­dernds­ten und ge­frag­tes­ten Dra­ma­ti­ker*innen Ös­ter­reichs, der mit bild­ge­wal­ti­ger Sprache Phänomene und Akteur*innen der po­li­ti­schen Gegenwart ge­schichts­m­e­ta­pho­risch und höchst theatral fasst. Nicht umsonst spielt „dritte republik“ im Titel auf die 1994 unter Jörg Haider verfasste Pro­gramm­schrift „Weil das Land sich ändern muss! Auf dem Weg in die Dritte Republik“ an, in der ein Umbau Ös­ter­reichs von einer par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tie zu einem Staat unter der quasi al­lei­ni­gen Führung eines di­rekt­ge­wähl­ten Staats­len­kers mit um­fas­sen­den Be­fug­nis­sen skizziert wird. Doch das ist nur eine von vielen Ebenen und pop­kul­tu­rel­len Re­fe­ren­zen von Jim Jarmusch bis Arnold Schönberg, die Köck in seinem neuesten Text kurz­schließt. Was daraus entsteht, ist das Panorama eines tau­meln­den Kon­ti­nents zwischen eu­ro­päi­schem Traum und na­tio­nal­staat­li­chen Sehn­süch­ten.

REGIE Anita Vulesica
BÜHNE & KOSTÜME Anna Brand­stät­ter
CHO­REO­GRA­FIE Mirjam Klebel
VIDEO Frank Holldack
MUSIK Bernhard Neumaier
LICHT­DE­SIGN Thomas Trummer
DRA­MA­TUR­GIE Jennifer Weiss
MITARBEIT KOS­TÜM­BILD Theresa Steiner

EINE LAND­VER­MES­SE­RIN Katrija Lehmann
EIN KUTSCHER Werner Strenger
EINE BLINDE FALL­SCHIRM­SPRIN­GE­RIN Evamaria Salcher
EIN PATIENT Lukas Walcher
EIN REEDER Frieder Lan­gen­ber­ger
DIE GEHILFEN (VIDEO) Gregor Aist­leit­ner, Judith Aichhorn, Menna Alkazemi, Cla­ra-Lui­se Bauer, Rebekka Biener, Martin Peñaloza Cecconi, Valentina Daum, Johannes Ettinger, Stephanie Fournier, Alexander Gerlini, Marie Hammerl, Levin Hofmann, Hannah Höfler, Balasz Illyes (Ton), Yasmin Mowafek, Izabella Radić, Georg Santner

ANGEBOTE SCHAU­SPIEL­HAUS AKTIV

Mitlernen
Nach­be­rei­tung
Text­im­pul­se
In­halt­li­ches Warm-up

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Thomas Köck über Corona und andere Krisen
Die Proben zu „dritte republik“ mussten im März 2020 ab­ge­bro­chen werden. Unter dem Eindruck des durch die Co­ro­na-Kri­se ver­ur­sach­ten Aus­nah­me­zu­stands hat der Text eine neue Dimension und Dring­lich­keit bekommen. Thomas Köck schickte uns dazu Mitte Mai diesen Text über Corona und andere Krisen.

„ich wurde gebeten, über europa zu schreiben, über grenzen, über ein virus und seine folgen und so. es ist na­he­lie­gend, denn es ist be­schä­mend, was an den au­ßen­gren­zen passiert, was der ka­pi­ta­lis­mus als virus dort schon seit jahren ver­an­stal­tet, während sich die pri­vi­le­gier­ten zu allen zeiten schon im ho­me­of­fice ver­schanzt haben, um noch einen rest an mehrwert zu pro­du­zie­ren.

es ist heuchelei, wenn man am balkon steht, um den (über­wie­gend weib­li­chen) un­ter­be­zahl­ten mit­ar­bei­te­rin­nen eines „gesund“ und „schlank“ gesparten ge­sund­heits­sys­tems zu ap­plau­die­ren oder den menschen an der su­per­markt­kas­se, die man ansonsten maximal be­mit­lei­det. es ist schlicht peinlich zu be­ob­ach­ten, wie par­tei­po­li­tik krisen nutzt, um ge­sell­schaft­li­che konflikte zu­zu­spit­zen und eigene um­fra­ge­wer­te zu pushen, anstatt narrativa für eine ge­mein­schaft der zukunft zu ent­wi­ckeln, anstatt sich zu ent­schul­di­gen dafür, dass man in den letzten jahren dachte, der markt würde eh alles regeln, aber dann reicht schon ein winziges virus aus und diese tollen märkte kol­la­bie­ren, die armut ex­plo­diert, jobs gehen verloren und wir müssen zugeben, dass wir uns in ein al­ter­na­tiv­lo­ses system hin­ein­ma­nö­vriert haben, das keinen doppelten boden mehr besitzt – die geringste er­schüt­te­rung lässt millionen an menschen umgehend tief stürzen und jetzt wäre der moment, um dieses verkackte system zu ändern. aber nichts und niemand öffnet die grenzen, verteilt die ärmsten und kommt den his­to­ri­schen pflichten dieses staa­ten­bunds, dieses halben kon­ti­nents nach, alle hamstern sie häuslpa­pier für den eigenen arsch.

darüber habe ich die letzten wochen auch nach­ge­dacht, hie und da, wie viele andere auch ver­mut­lich, aber ich habe vor allem über eines nach­ge­dacht, nämlich wie soll jemand, die / der mit ihrem / seinem eigenen ver­schwin­den nie kon­fron­tiert wurde, nie an diesen punkt gewandert ist, wie auch immer, wo man das eigene ende auffindet, wie soll so jemand denn überhaupt in der lage sein, das ende dieses systems zu ima­gi­nie­ren und also hand­lungs­fä­hig über die eigenen scheu­klap­pen hinaus werden?

ich habe nämlich vor allem eines wieder einmal fest­ge­stellt: wir, in diesen dar­stel­len­den künsten, die mu­si­ke­rin­nen, tän­ze­rin­nen, schau­spie­le­rin­nen, re­gie­men­schen, die technik, bühne und all die vielen anderen, wir arbeiten fürs ver­schwin­den – wir arbeiten nicht fürs wachstum, für die pro­fit­ma­xi­mie­rung oder um den markt zu do­mi­nie­ren. wir arbeiten noch nicht mal fürs archiv, selbst als autor stelle ich immer wieder fest, beim schreiben will man an einen punkt kommen, wo man irgendwo im text verloren geht und ver­schwin­det, die texte werden einem dann eher gute freunde, schöne affären über eine bestimmte zeit, aber halt autonome wesen, die „mich“ nicht mehr brauchen. Unsere arbeit existiert nur in diesem und für diesen kurzen au­gen­blick – sie ist ein ver­spre­chen, eine zu­künf­ti­ge er­in­ne­rung, eine lie­bes­er­klä­rung und eine innige freund­schaft, die im moment ihrer sicht­bar­keit ver­schwin­det. die wir für einen wim­pern­schlag teilen und die uns da zu­sam­men­bringt, in einer lie­be­voll­wü­ten­den ver­schwö­rung gegen zeit und raum und welt und kapital.

es gibt ein lied von dem / der drone künstler / in abul mogard, von dem/der unklar ist, wer das ist oder wie viele, es heißt „half light of dawn“ und es läuft hier gerade, während ich das schreibe und es ist ein einziges lang­ge­zo­ge­nes ver­schwin­den und es erinnert mich an diese wun­der­bars­ten momente im theater: wenn etwas ganz und gar un­er­war­te­tes geschieht, das nur an diesem einen abend hier für diese paar menschen in diesem ort geschieht und ich meine das radikal kon­tin­gen­te, ich meine nicht, das gesamte geschehen, ich meine, wenn jemand plötzlich stolpert auf der bühne, wenn jemand auf einmal den text anders kapiert, wenn jemand, ohne es zu wissen, so im licht steht, dass ein ganz wun­der­ba­rer, un­er­war­te­ter schatten ein völlig neues bild entstehen lässt, wenn jemand am ende ihrer oder seiner kräfte noch einmal einen ganzen monolog lang sich bis an die rampe kämpft und dabei stottert und keucht und vergisst wo er oder sie gerade ist, sondern nur diesen scheiß­text zu ende bekommen möchte und eine energie in diesem wi­der­stand zwischen körper und text freisetzt, an die ich mich noch jahre später erinnere, die mir noch jahre später imponiert, ein moment, der nur zwischen uns statt­ge­fun­den haben wird, der mich aus diesem jam­mer­ma­ri­an­nen­gra­ben­tal von grenz­schlie­ßun­gen, re­na­tio­na­li­sie­run­gen, ka­putt­ge­spar­ten ge­sund­heits­sys­te­men und zer­stör­ten kul­tur­land­schaf­ten her­aus­reißt und mir für den bruchteil einer sekunde, nein, viel länger ei­gent­lich, der mir für den ganzen heimweg und die nächsten tage das gefühl gibt, dass man durch diesen scheiß­mo­no­log, durch diesen viel zu langen text, durch diesen viel zu langen abend und durch diese ganze be­schis­se­ne krise hin­durch­ge­kom­men sein wird, dass es ver­schwun­den sein wird, so wie wir uns immer und immer und immer wieder an den punkt hin­spie­len, an dem wir ver­schwin­den, an dem wir etwas völlig neues entdecken in und an uns, in zeit und raum und aus diesem ver­schwin­den eben diese ge­wiss­heit mit­brin­gen, dass auch all diese er­nied­ri­gun­gen, dass all diese un­ge­rech­tig­kei­ten zwar nicht von selbst ver­schwin­den werden, aber auch sie eines tages ver­schwun­den sein werden.“

Pres­se­stim­men

„Thomas Köcks ‚dritte republik (eine Ver­mes­sung)‘, Teil drei der Kron­land­sa­ga, wird in der Regie von Anita Vulesica zu einer fun­keln­den Welt­über­druss-Gau­di. […] eine Land­ver­mes­se­rin, in Graz präzis und pointiert dar­ge­stellt von Katrija Lehmann, ist an­ge­wie­sen, die Grenzen des nach dem Ersten Weltkrieg zer­fal­le­nen Habs­bur­ger­rei­ches neu zu vermessen. […] gekrönt wird das bizarre Ensemble von Frieder Lan­gen­ber­gers über­zu­cker­tem Spiel als Kai­se­rin-Ma­ria-The­re­sia-Loo­ka­li­ke. Eine Cha­os­trup­pe de luxe. […] Eine Notlösung, die voll aufgeht: Die Energie des juvenilen Chors ist in Groß­auf­nah­me auf der raum­fül­len­den Vi­deo­lein­wand ein Erlebnis. Re­gis­seu­rin Vulesica versteht es, den schwie­ri­gen Chor­pas­sa­gen Schärfe und Witz zu verleihen. Ein herrlich ver­husch­tes Kam­mer­spiel, ein gewitztes Panorama der Ab­sur­di­tä­ten.“ (Wiener Zeitung / wiener­zei­tung.at, Petra Paterno, 16./17.09.2020)

„Als Reeder amüsiert ein in seinem Monolog mit Leich­tig­keit zwischen extremen Emotionen chan­gie­ren­der Frieder Lan­gen­ber­ger […]. Der starke Text fand auch dank der Bühne und der Kostüme von Anna Brand­stät­ter und den un­heil­vol­len Sounds von Bernhard Neumaier markante Bilder […]. Beim ganz aus­ge­zeich­ne­ten Chor, der in Videos von Frank Holldack in Über­le­bens­grö­ße auf die Bühne pro­ji­ziert wird, gibt es keine Un­si­cher­heit. Man schmet­tert in attischer Tradition die teils neu mon­tier­ten Texte Köcks präzise und klar in die zer­fal­len­de Welt. Den Chor nicht live auf der Bühne zu haben, mag epi­de­mio­lo­gisch eine kluge Ent­schei­dung sein, ist aber auch äs­the­tisch eine wun­der­ba­re Lösung.“ (Der Standard / der­stan­dard.at, Colette M. Schmidt, 13./15.09.2020)

„Im Grazer Schau­spiel­haus hat Anita Vulesica Thomas Köcks ide­en­rei­che, apo­ka­lyp­ti­sche Farce ‚dritte republik‘ liebevoll und mit Empathie in­sze­niert. […] Das lebendige Ensemble be­geis­tert. […] Eine zau­ber­haf­te Utopie über ein glück­li­ches Leben ohne Na­tio­na­lis­mus und ohne Grenzen wird hier entworfen, mit Witz und hoher Sprach­kunst. […] Ja, Anita Vulesica, in München geborene Re­gis­seu­rin und Schau­spie­le­rin mit kroa­ti­schen Wurzeln, hat mit Anna Brand­stät­ter (Bühne, Kostüme) tolle Bilder gefunden.“ (Die Presse am Sonntag / diepresse.​com, Barbara Petsch, 13.09.2020)

„Als tauglich erweist sich das Büh­nen­bild (Anna Brand­stät­ter): Auf der schwarzen, posta­po­ka­lyp­ti­schen Vul­kan­land­schaft, ein­ge­hüllt in einen Nebel der Un­klar­heit, riskiert Haupt­dar­stel­le­rin Lehmann mit großem Kör­per­ein­satz einige blaue Flecken. Das gesamte Ensemble nahm den Sprach­rhyth­mus von Köcks Text fein­sin­nig auf und über­zeug­te bei der Premiere mit Spiel­freu­de und schau­spie­le­ri­scher Qualität.“ (klei­ne­zei­tung.at, Nacht­kri­tik, Daniel Hadler, 11.09.2020)

„Mit Thomas Köcks kaf­ka­es­kem Grenzgang ‚dritte republik (eine ver­mes­sung)‘ startet das Grazer Schau­spiel­haus bild- und sprach­ge­wal­tig in die neue Saison. […] Auf ihrem Weg arbeitet sich Lehmann als ori­en­tie­rungs­lo­se Geodätin an ihrer Grenz­mis­si­on glaub­wür­dig ab, gerade wie sich Köck am Konzept der Grenzen und des Na­tio­na­len ab­ar­bei­tet […]. Der Bezug zur Ta­ges­po­li­tik ist ge­gen­wär­tig, aber nie plump.“ (Kleine Zeitung, Daniel Hadler, 13.09.2020)

„Mit ‚dritte republik (eine ver­mes­sung)‘ hat es am Freitag im Grazer Schau­spiel­haus nach langem Still­stand wieder eine Premiere gegeben, die auch gleich Zeichen setzte: Sprach­ge­walt, starke Bilder und in­ten­si­ves Spiel zeich­ne­ten Thomas Köcks Drama aus. […] Die bisweilen schrille In­sze­nie­rung von Anita Vulescia täuscht nicht über die Rat­lo­sig­keit der Figuren hinweg, die sich mit den Begriffen Grenze, Nation oder Heimat aus­ein­an­der­set­zen. Der Text passt zu so ziemlich allen aktuellen Problemen […] Ein sprach­ge­wal­ti­ger Abend mit starken Bildern als hoff­nungs­vol­ler Auftakt einer Saison mit be­son­de­ren Her­aus­for­de­run­gen.“ (APA, Karin Ze­het­leit­ner, 12.09.2020)

„Re­gis­seu­rin Anita Vulesica und Aus­stat­te­rin Anna Brand­stät­ter finden starke Bilder für die Ver­zweif­lung […]. Viel Applaus für die düs­ter-ab­sur­de Fabel, die uns allen den Zerr­spie­gel vorhält.“ (Kronen Zeitung / krone.​at, Christoph Hartner, 13./14.09.2020)

„Diese kafkaeske Welt […] ko­lo­rie­ren Re­gis­seu­rin Anita Vulesica und ihr Team in Graz mit Lust und Hingabe. Der Büh­nen­bild­ne­rin Anna Brand­stät­ter und dem fürs Licht zu­stän­di­gen Thomas Trummer gelingen tolle Bilder vom Aus­ge­setzt-Sein in einer Nicht-Land­schaft, vom gren­zen­lo­sen Sich-Ver­lie­ren im engst be­grenz­ten Raum.“ (nacht­kri­tik.de / dreh­punkt­kul­tur.at, Reinhard Kriech­baum, 11./16.09.2020)

„Doch das ‚Look and Feel‘ passt, bewegt es sich doch nahe an der Realität: Anita Vulesica (Regie) pinselt dadurch düstere Sit­ten­bil­der über die Ab­schot­tung und den Nie­der­gang Europas […]. Es ist ein bit­ter-ko­mi­scher Abgesang […] auf ein Leben hinter Mauern und Schlag­bäu­men.“ (kul­t­ref­graz.​wordpress.​com, Katrin Fischer, 12.09.2020)

ORT & DAUER
HAUS EINS
Hofgasse 11, A - 8010 Graz
Dauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
PREMIERE
11. September 2020, HAUS EINS
WIR EMPFEHLEN IHNEN
HAUS EINS
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