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Nicoleta Esinencu
Die Europäische Union gilt als eines der größten und erfolgreichsten Friedensprojekte der Welt – 2012 wurde sie dafür sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit sechs Jahrzehnten, hieß es in der Begründung, habe die Europäische Union entscheidend zur friedlichen Entwicklung des Kontinents beigetragen, Zusammenwachsen und Integration gefördert. Fünf Jahre später, nach gerade noch abgewandtem Grexit und tatsächlich beschlossenem Brexit, angesichts massiv erstarkendem Nationalismus und Rufen nach Wiederaufziehen längst gefallener Grenzen, ist von Zusammenhalt und Solidarität immer weniger zu spüren, scheint die EU vor einer Zerreißprobe zu stehen. Erleben wir gerade den Zerfall Europas? Ist das der Rest, der vom gesamteuropäischen Gedanken übrigbleibt? Oder befindet sich das Projekt Europa nur vorübergehend in einem Dornröschenschlaf, aus dem es aufzuwachen gilt?
Die moldawische Autorin Nicoleta Esinencu unterzieht Europa in ihrem eigens für das Schauspielhaus Graz geschriebenen Stück „Rest of Europe“ einer Bestandsaufnahme, vermisst seine aktuellen (ideologischen) Grenzen. Ausgehend von Straßburg, wo Maxim – ein moldawischer Student - seinen Lebensunterhalt als Kellner im EU-Parlament verdient, spinnt sie ein Netz aus miteinander verwobenen Geschichten über die Widersprüchlichkeiten zwischen der „europäischen Idee“ und den herrschenden Verhältnissen. Ihr Hauptaugenmerk gilt dabei den „Schwachen“ der Gesellschaft, den Übriggebliebenen, den „rest people“ – wie es im Stück einmal heißt. Anhand von literarisch verdichtetem, ursprünglich dokumentarischen Material entlarvt sie zur Normalität verkommene, real existierende Absurditäten, mit denen die(se) Menschen konfrontiert sind, denen sie sich aber nicht entziehen können. Dabei verweist sie immer auch auf die Rolle der Medien, ihre Macht, ihren Einfluss darauf, wie die Welt wahrgenommen wird und vermeintliche Tatsachen geschaffen werden.
„Rest of Europe“ ist der Auftakt eines zweiteiligen Projekts zwischen Graz und der moldawischen Hauptstadt Chisinau. Denn Nicoleta Esinencu schreibt gleich zwei Stücke, die mit einem aus moldawischen und österreichischen Mitwirkenden gemischten Ensemble und Team unabhängig voneinander produziert und aufgeführt werden: eines am Schauspielhaus Graz, das andere mit dem Teatru-spălătorie, Esinencus freier Theatertruppe in Chisinau. Jedes der Stücke funktioniert für sich allein und wird einzeln gespielt, jedoch sind sie auch zwei Teile eines Ganzen, das sowohl in Moldawien als auch in Österreich gemeinsam zu sehen sein wird.
REGIE Nina Gühlstorff
BÜHNE UND KOSTÜME Prisca Baumann
MUSIK Traian
DRAMATURGIE Elisabeth Geyer
THEATERPÄDAGOGIK Julia Gratzer
MIT Mathias Lodd, Mercy Dorcas Otieno, Tamara Semzov, Traian
„Was braucht es, um die aktuell brennenden Themen in der EU auf der Bühne zum Thema zu machen? Zuallererst natürlich einen hervorragenden Text wie den von Nicoleta Esinencu. […] Dann braucht es aber auch eine Regisseurin wie Nina Gühlstorff, die es schafft, aus diesem prallen Konvolut einen so klugen wie unterhaltsamen Abend zu bauen. […] Nicht zu unterschätzen ist ein gut aufeinander eingespieltes Ensemble, das die Themen auf den Punkt bringt. […] Und dann ist da noch der moldawische Rapper Traian, der wunderbare Akzente setzt. Sehenswert!“ (Michaela Reichart, Kronen Zeitung, 19. Jänner 2018)
„Rest of Europe‘ erzählt als dichte Textcollage von jenen geografischen und gesellschaftlichen Regionen Europas, die von der Zentrifugalkraft der EU-Weltwirtschaftsmachtpolitik an die Ränder gedrängt werden, nicht in die zweite, sondern die letzte Reihe. Das Stück wurde eigens für das Schauspielhaus Graz geschrieben. Und für sein Ensemble. […] Text wird zwischen Darstellern, Sprachen, Medien verteilt, wird hin- und hergeworfen, taucht als Laufschrift auf oder als Rap. Dabei ist Jugendkultur keine Attitüde, sondern ein locker hingeworfenes Element neben anderen. Esinencus Text verweigert sich der theatralen Illusion. Nichts läuft hier glatt, Kabelschläuche und vernähte Jacken machen jeden Versuch einer kontrollierten Bewegung unmöglich, Musik übertönt den Text, das Mikrophon hilft nicht – es ist nur ein weiterer Spielgegenstand.
[…] Eine spannende Unternehmung jedenfalls, deren Fortsetzung in Moldawien zu erleben sein wird.“ (Hermann Götz, nachtkritik.de, 17. Jänner 2018)
„Das Bild der Europäischen Union, das die moldawische Autorin Nicoleta Esinencu im Auftrag des Grazer Schauspielhauses zeichnet, ist ein verworrenes, zuweilen düsteres: Zusammengezurrt, Rücken an Rücken, bilden Mathias Lodd, Mercy Dorcas Otieno und Tamara Semzov eine wackelige (aber leidenschaftliche) Einheit als Sinnbild einer Union, deren solidarische Grundausstattung ins Wanken geriet.“ (Daniel Hadler, Kleine Zeitung, 19. Jänner 2018)